Wolfenbüttel/Bad Neuenahr (epd). Bundespräsident Johannes Rau hat sich erneut gegen ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen gewandt, das von mehreren Bundesländern angestrebt wird. Das Kopftuch sei kein eindeutiges politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus, sagte Rau am Donnerstag in Wolfenbüttel bei der Eröffnung des "Lessing-Jahrs". Die Kopfbedeckung werde von Frauen auch aus anderen Gründen getragen. Die Kirchen begrüßten das Bekenntnis des Bundespräsidenten zu Religionsfreiheit und Toleranz.
In seiner Festrede anlässlich des 275. Geburtstages des Schriftstellers und Philosophen Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) warnte Rau in der Herzog August Bibliothek davor, Religionen unterschiedlich zu behandeln. Im demokratischen Rechtsstaat gelte zwar das Recht auf Unterschiede, aber kein unterschiedliches Recht.
Er befürchte, das Kopftuchverbot könne der erste Schritt auf dem Weg zu einer radikalen Trennung von Kirche und Staat sein, womit religiöse Zeichen und Symbole aus dem öffentlichen Leben verbannt würden. Dies sei aber nicht seine Vorstellung von einem seit Jahrhunderten christlich geprägten Land, unterstrich der Bundespräsident.
Alle Bürger der Bundesrepublik müssten auch wissen, dass mindere Rechte für Frauen nicht geduldet würden. Beispielsweise dürften junge Frauen nicht gegen ihren Willen verheiratet werden. Außerdem kritisierte Rau, dass Mädchen von bestimmten Schulfächern fern gehalten würden. Als "unhaltbaren Zustand" bezeichnete der Bundespräsident die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Schüler.
Islamischer Religionsunterricht dürfe nicht den Koranschulen überlassen bleiben. Im Anschluss an den Festakt in Wolfenbüttel besuchte Rau mit dem braunschweigischen Landesbischof Friedrich Weber das Grab Lessings auf dem historischen Dom- und Magnifriedhof in Braunschweig. Weber sagte, der Bundespräsident habe vorzüglich, nüchtern und unaufgeregt das Verhältnis von Staat und Kirche beschrieben. Den Symbolcharakter des Kopftuches beurteile er allerdings anders. Nach seiner Auffassung müsse sehr ernsthaft die politische Botschaft des Kopftuches gesehen und geprüft werden. Deshalb setze er sich auch hier für den Dialog der Religionen ein.
Die beiden großen Kirchen in Deutschland begrüßten die Rede Raus. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, warnte vor "Tendenzen des Laizismus" in der Bundesrepublik. Diese Bewegung zur radikalen Trennung von Kirche und Staat entspreche nicht den Traditionen Deutschlands, erklärte Huber. Er lobte die Klarstellung des Bundespräsidenten, dass Deutschland kein "religionsfreier Staat" sei.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, plädierte für die Gleichbehandlung der Religionen durch den Staat. Religion dürfe nicht aus dem öffentlichen Leben verbannt werden, sagte der Kardinal. Die Bischofskonferenz begrüße Raus "klares Bekenntnis zur Religionsfreiheit", die ebenso wie den Christen den in Deutschland lebenden Muslimen zukomme. (epd Niedersachsen-Bremen).
Unter www.bundespraesidialamt.de können Sie die Rede von Bundespräsident Johannes Rau "Religionsfreiheit heute - zum Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland" zum 275. Geburtstag von Gotthold Ephraim Lessing in der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel nachlesen.
Am Lessinggrab (von rechts): Bundespräsident Johannes Rau, seine Frau Christina, Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann, Pfarrer Albrecht Fay, Domprediger Joachim Hempel und Landesbischof Dr. Friedrich Weber.Foto: Susanne Hübner
