Hannover/Braunschweig (epd). Die evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze begrüßt. Gerade die gesellschaftliche Teilhabe der Kinder, mit der das Urteil begründet werde, sei immer wieder von den Kirchen gefordert worden, sagte der Braunschweiger evangelische Landesbischof Friedrich Weber. Die Folgen der bisherigen niedrigen Regelsätze seien der Weg in die Armut, Ausgrenzung und Isolierung junger Menschen bis hin zum Abgleiten in Kriminalität. Weber ist Ratsvorsitzender der Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen.
Der Diakonie-Direktor der hannoverschen Landeskirche, Christoph Künkel, begrüßte es, dass künftig Einzelfall-Betrachtungen stärker berücksichtigt werden sollten. Neuberechnungen müssten jedoch von strukturellen Konzepten gegen die Armut wie Mittagstischen in Schulen oder Kindertagesstätten begleitet werden: "Man kann die Frage der Armut, insbesondere von Kindern, nicht nur über Regelsätze lösen."
Die Diakonie im Oldenburger Land forderte, der Regelsatz müsse künftig die Chancen der Kinder in der Gesellschaft verbessern statt wie bisher behindern. "Eine Gesellschaft, die den Kindern zu wenig gibt, signalisiert, dass ihr nichts an diesen Kindern liegt", sagte Sprecher Frerk Hinrichs.
Die Bremer Diakonie erklärte, die gegenwärtige Regelung gehe an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien vorbei. "Es ist ein Skandal, dass die Kindergeld-Erhöhungen der vergangenen Jahre jeweils mit dem Regelsatz verrechnet wurden", sagte Diakonie-Landespfarrer Michael Schmidt. Benachteiligte Kinder würden damit immer weiter von der gesellschaftlichen Teilhabe abgehängt: "Wir dürfen nicht zulassen, dass aus Hartz-IV-Kindern einmal Hartz-IV-Großeltern werden."
Das Diakonische Werk der Evangelisch-reformierten Kirche erklärte, die bisherigen Sätze seien willkürlich gewesen. Ein neues Verfahren zur Berechnung der Regelsätze für Kinder reiche jedoch nicht aus, um Armut wirksam zu bekämpfen. Nur durch Bildung sei es möglich, den Armutskreislauf zu durchbrechen: "Und die muss bereits im Kindergarten beginnen." Es bleibe ein Skandal, dass Kinder vom Land nicht das Gymnasium in der Stadt besuchen dürften, weil sich die Eltern das Fahrgeld nicht leisten können.
Auch Niedersachsens Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) begrüßte das Urteil: "Alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land müssen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ein gutes Rüstzeug für die Zukunft mit auf den Weg bekommen", sagte sie. Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) erklärte, der besondere Bedarf der Kinder im Bereich der Bildung müsse angemessen berücksichtigt werden.
Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Adolf Bauer aus Hannover, wertete das Urteil als Erfolg für die Bezieher von Hartz-IV-Leistungen. Die Karlsruher Entscheidung sei eine Chance für eine grundlegende sozialpolitische Korrektur, sagte Bauer, der auch niedersächsischer Landesvorsitzender des Verbandes ist. Jetzt komme es darauf an, dass die Bundesregierung schnell und zielgerichtet handele.
Das höchste deutsche Gericht hatte eine Revision der Regelsätze für Kinder angemahnt. Danach müssen die staatlichen Leistungen für die 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland künftig grundlegend neu berechnet werden. Das bisherige Berechnungsverfahren für Kinder, aber auch für Erwachsene gewährleiste nicht das Recht auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum", hieß es.